Eine beherzte Frau

Er war eine der umtriebigsten, aber auch widerlichsten Figuren der in Logen vorbereiteten französischen Revolution von 1789ff: Jean Paul Marat, geboren am 24. Mai 1744 in Boudry bei Neuchatel (Schweiz). Nach Marat ist in Rostock ein Café im Peter-Weiss-Haus, gelegen im „Szeneviertel“ Kröpeliner-Tor-Vorstadt, benannt.

Im Anschluss an ein Medizinstudium widmete sich Marat der Schriftstellerei. In Schottland verfasste er u. a. die revolutionäre Schrift „The chains of slavery“ (dt., „Die Ketten der Sklaverei“). Mitte der 1780er Jahre ließ er sich in Paris nieder. Dort erhielt er eine Anstellung als Arzt in der Leibgarde des Grafen von Artois.

Über seinen weiteren Lebensweg heißt es in „Meyers Konversations-Lexikon“ (Band 11) von 1877:

„Nach dem Ausbruch der Revolution trat Marat bald als einer der extremsten Demagogen hervor. Gemein und roh wie sein Äußeres war auch sein Inneres. Ohne den Mut, die Waffen zu führen, und ohne Geschick, einen Aufstand zu leiten, wußte er durch seine ungezügelten Worte und durch seine Gabe niedrig populärer Darstellung das Volk anzuregen und sich zum Schrecken aller Parteien zu machen. Selbst die enragiertesten (leidenschaftlichsten – d. Red.) Revolutionsmänner mieden ihn.

(…) Sein Organ war seit dem 12. Dezember 1789 der ,Publiciste Parisien‘, später der ,Ami du peuple‘ (dt., ,Volksfreund‘), endlich das ,Journal de la République‘, welche die ungereimtesten Gerüchte brachten und sich namentlich durch Denunziationen auszeichneten, aber beim niederen Volk als Orakel galten.“

Ein geistiger Brandstifter

Marat war einer der maßgeblichen Initiatioren der sogenannten Septembermorde, bei denen zwischen dem 2. und 6. September 1792 mehr als 1200 inhaftierte Gegner der Revolution abgeschlachtet wurden. Marat wurde Mitglied des Konvents, der nach dem Sturz des Königtums ins Leben gerufenen verfassunggebenden Versammlung. In „Meyers Konversations-Lexikon“ lesen wir dazu:

„Er wurde hier allgemein verabscheut; so oft er das Wort ergriff, übertäubte ein wilder Tumult seine Stimme, während ihm die Tribünen Beifall zujauchzten. Während des Prozesses des Königs, für dessen sofortige Hinrichtung er stimmte, rief er dem Volk in seinem Blatt zu: ,Schlachtet, schlachtet 200.000 Anhänger des alten Regiments und reduziert den Konvent auf ein Viertel.“ (Rund 130 Jahre später machten die Bolschewisten in Russland Ernst, indem sie große Teile der alten Eliten reihenweise ermordeten.)

Die schnell entschlossene Charlotte

Schließlich wurde Marat selbst so radikalen Revolutionären wie Robespierre zur Belastung. Sie waren drauf und dran, Marat dem Beil des Henkers zuzuführen – als ihnen eine beherzte Frau die Arbeit abnahm: Marte Aline Anne Charlotte Corday d’Armans, geboren 1769 in St. Saturin bei Caen (Normandie). Die Schreckensherrschaft in Paris erfüllte sie mit Abscheu. Von glühender Vaterlandsliebe durchdrungen, machte sie sich im Juli 1793 auf den Weg in die Metropole, was mit dem Vorsatz geschah, entweder Robespierre oder Marat aus dem Weg zu räumen. Ihre Wahl fiel schließlich auf Letzteren, da dieser dazu aufgerufen hatte, 200.000 Menschen zu ermorden.

Am 13. Juli 1793 verschaffte sie sich unter einem Vorwand Zutritt zu Marats Wohnung, wo sie ihn erdolchte. Willig ließ sie sich verhaften. Ihr Todesurteil nahm Charlotte Corday mit Gelassenheit zur Kenntnis. Am 17. Juli fiel sie der Guillotine zum Opfer. Marat indes wurde zum Märtyrer hochstilisiert und unter großem Pomp im Garten der Cordeliers begraben.

Im Rostocker Café Marat wird regelmäßig ein Kneipen-Quiz durchgeführt. Eine mögliche Frage liefern wir gern: Wer setzte Marats Leben ein Ende? Die Teilnehmer werden das höchst wahrscheinlich nicht lustig finden. Doch ist es mit der historischen Wahrheit wie mit einer (bitteren) Medizin – sie soll nicht schmecken, sondern wirken.

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